Was ist Kunst?
Im Max-Ernst-Museum im Erdgeschoss des Hauptflügels findet man Werke, Fotos und schriftliche Zeugnisse aus Max Ernsts Jugend und seiner Zeit als junger Künstler. Seine frühen Werke zeigen deutlich, dass er seinen Weg und Stil noch sucht.
Wenn man genau hinschaut, entdeckt man eine Lithographie aus dem Jahr 1919, in der Max Ernst die Frage nach der wahren, der „hl. cunst“ stellt. Der Druck Nummer VII der Serie „Fiat Modes Pereat Ars“ zeigt im wesentlichen folgende Beschriftung: „feine Hunde und Gemeinschaft / finger weg von der hl. cunst“ und die gespiegelte von rechts nach links in großen Druckbuchstaben zu lesende Frage
„ZUR NEUEN KUNST? D D“.
Ernst beantwortet sich die Frage mit der Wahl der dadaistischen Formensprache dieses Werkes offenbar im Sinne der modernen, „neuen Kunst“. Im selben Jahr gründet er mit dem Journalisten Johannes Theodor Baargeld die Kölner DADA-Gruppe und setzt sich intensiv mit der Kunst des italienischen Malers Giorgio de Chirico auseinander.
Was denkt de Chirico über „neue Kunst“?
„Damit ein Kunstwerk wahrhaft unsterblich sei, muss es vollständig aus den Grenzen des Menschlichen heraustreten: Der Durchschnittsverstand und die Logik schaden ihm. Auf diese Weise wird es sich dem Traum und der kindischen Gemütsverfassung nähern. Das tiefe Werk wird der Künstler heraufholen aus den entlegensten Tiefen seines Daseins: Dorthin dringt kein Bachgemurmel mehr, kein Vogelsang, kein Blätterrauschen...“
Damit stehen beide im völligen Gegensatz zu der Vorstellung von Kunst, die die Nationalsozialisten propagierten.
Über die Frage der Bewertung moderner Kunst und Malerei war es schon vor dem Ersten Weltkrieg zu Auseinandersetzungen gekommen. Nach dem Krieg ab 1918 verschärften sich diese Diskussionen. Dem Massenpublikum, Bürgern und einfachen Leuten, ist moderne Kunst fremd geworden. Ihre Ausdrucksformen werden als „Krankheit“ beschrieben, die Künstler als „Erreger“ und eine „Therapie“ wird gefordert, eine Erneuerung des Geistes und der Kultur. Schon 1893 hatte Max Nordau in diesem Zusammenhang den Begriff der „Entartung“ geprägt (Max Nordau: Entartung. Berlin 1893.).
Es kommt zum »Kampf um die moderne Kunst« auf Seiten ihrer Verfechter, zum »Kampf um die Kunst« bei ihren Gegnern. So heißt es im „Hamburger Fremdenblatt“ 1913 zu einer Ausstellung von Werken Kandinskys:
„Wenn man vor dem greulichen Farbengesudel und Liniengestammel steht, weiß man zunächst nicht, was man mehr bewundern soll: die überlebensgroße Arroganz, mit der Herr Kandinsky beansprucht, dass man seine Pfuscherei ernst nimmt, die unsympathische Frechheit, mit der die Gesellen vom >Sturm<, die Protektoren dieser Ausstellung, diese verwilderte Malerei als Offenbarung einer neuen und zukunftsreichen Kunst propagieren oder den verwerflichen Sensationshunger des Kunsthändlers, der seine Räume für diesen Farben- und Formenwahnsinn hergibt. Schließlich aber siegte das Bedauern mit der irren, also unverantwortlichen Malerseele, die, wie ein paar frühere Bilder beweisen, vor der Verdüsterung schöne und echte Formen finden konnte; gleichzeitig empfindet man die Genugtuung, dass diese Sorte von Kunst endlich an dem Punkt angelangt ist, wo sie sich glatt als der Ismus offenbart, bei dem sie notwendig landen oder stranden muss, als den Idiotismus.“
Vor allem auch von den (traditionellen) Malern selbst, die um ihren bisherigen Markt angesichts der Erfolge der modernen Kunst fürchteten, wird lauter Protest angemeldet; [...] (Berthold Hinz: Die Malerei im deutschen Faschismus. München, Wien 1974. S.23). Ihre Schriften erleben oft Massenauflagen von mehreren hunderttausend Exemplaren, der Kampf um die Kunst bewegt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein breites Massenpublikum.
Um konkrete Interessen geht es auch der NSDAP, die 1928 den „Kampfbund für deutsche Kultur“ gründet. Er soll das Image der NSDAP aufbessern, denn insbesondere bildungsbürgerliche Kreise fühlen sich vom radikalen Auftreten der Partei abgestoßen. Getarnt als überparteilich - kulturelle Organisation, verfolgt er das Ziel, den „nationalsozialistischen Gedanken in Kreise zu tragen, die durch Massenversammlungen im Allgemeinen nicht erfasst werden können“. (H. Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Reinbek 1963. S.21)
Auf diese Weise gelingt es den Nationalsozialisten, große Teile der deutschen Bevölkerung für sich zu gewinnen, die sich von der modernen Kunst „kulturell verlassen“ fühlen. Nicht nur das Vorgehen gegen die „entartete“ Kunst nach 1933 wurde so vorbereitet, auch die politische „nationalsozialistische Revolution“.
Zusammenfassend kann man sagen:
Hieraus lässt sich erkennen, dass nach der »Machtergreifung« nicht einfach eine »neue« Kunst zur Stelle war - wo sollte sie auch herkommen? -, sondern dass es »zweierlei Kunst in Deutschland« längst zuvor gegeben hatte; dass die Moderne zwar die dominierende Kunst, nicht aber die ausschließliche war. Die alten Künstler-Verbände [...] existierten nach wie vor, und die soziale Not ihrer schlicht und kleinbürgerlich malenden Mitglieder war die Bedingung dafür, dass sie sich politisch orientierten, und zwar nach rechts, denn die Linke war ja bereits von den Modernen besetzt, denen die Schuld nicht nur am Elend der Feld-Wald-und-Wiesen-Maler, sondern am Verfall der Kunst schlechthin zugeschoben wurde. So hatte sich ein geographischer, aber ins »Wesen« verlegter Gegensatz zwischen Norden und Süden gebildet, der auf der einen Seite von dem modernen, weltstädtischen »jüdisch-bolschewistisch-entarteten« Berlin und auf der anderen Seite von dem traditionsgebundenen »arteigenen« München geführt wurde. (Nach Hinz, S.34f.)
Ausstellung "Entartete Kunst"
Hitler und Gobbels besuchen den Ausstellungssaal, in dem Max Ernsts Werk "Die schöne Gärtnerin" gezeigt wurde.
Dies zeigt sich auch in den beiden großen Ausstellungen von 1937, der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ und „Entartete Kunst“, die bewusst kontrastiv und konfrontativ zum gleichen Zeitpunkt in München ihre Tore öffneten.
Galerie "Entartete Kunst"
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